Kriegsdrohnentechnologie ist gravierendste Herausforderung
Das Bischofswort „Gerechter Friede“ soll überarbeitet werden. Wie bewertest du das Dokument aus dem Jahr 2000?
Das Bischofswort „Gerechter Friede“ habe ich erst mit einiger Verzögerung und zunächst indirekt, im Zusammenhang der Arbeit der pax christi-Kommission Friedenspolitik zur Kenntnis genommen, zudem mit einiger Skepsis gegenüber „ober-kirchlichen“ Friedensverlautbarungen. Je mehr ich mich aber, angeregt durch den einen und anderen Debattenbeitrag, auf den Text eingelassen habe, desto mehr hat er mich beeindruckt. Ich lese „Gerechter Friede“ als Versuch einer theologisch grundierten ethischen Auseinandersetzung mit der menschlichen Gewalt-Verfallenheit und der Möglichkeit ihrer Überwindung. Wie siehst du den Paradigmenwechsel vom „Gerechten Krieg“ zum „Gerechten Frieden“ vor 20 Jahren? Was sind seine Stärken und seine Schwächen? Die Entfaltung der „biblische(n) Botschaft vom Frieden ... in einer Welt der Gewalt“ ist aus meiner Sicht der stärkste Teil. Die Verwicklung der „Botschaft“ von Gott und Gottes Handeln in die Gewaltgeschichte wird allerdings nur oberflächlich theologisch entschärft (Ziff. 30). Ebenso vermisse ich in dem „Hohen Lied“ auf die Kirche als „Sakrament des Friedens“ (Teil III) eine „selbst“-kritische(re) Auseinandersetzung (als in Ziff. 169) mit der Rolle der Kirche in den Weltkriegen im 20. Jahrhundert. Dass man zu Recht von einem Paradigmenwechsel in der katholischen Friedenslehre sprechen kann, bezweifele ich. Das Gewaltdilemma – Begrenzung und Überwindung von „böser“ Gewalt auf un-absehbare Zeit mit „guter“ Gewalt! – bleibt dahingestellt bzw. wird letztlich, wie mir scheint, theologisch vernebelt, sich selbst entpflichtend göttlichem „Wunder“-Wirken anheimgegeben (Ziff. 35, 48 u. a.).
In „Gerechter Friede“ heißt es, dass die atomare Abschreckung befristet ethisch tolerierbar sei. Inzwischen fordern auch der Vatikan und Justitia et Pax, den Besitz von Atomwaffen zu ächten. Die Strategie der nuklearen Abschreckung kommt nur kurz in der Einleitung näher zur Sprache (Ziff. 2). Der These befristeter und bedingter ethischer Tolerierbarkeit wird bescheinigt, sie habe „nichts von ihrer Gültigkeit verloren“. Das besagt letztlich, dass die Abschreckungsstrategie als ethisch tolerierbar gilt, solange militärisch nutzbare Produkte der Nukleartechnologie vorhanden und in Umlauf sind, statt dass man sie ethisch in Frage stellt, weil sie diese Produkte rechtfertigt. Eine Korrektur im Sinne des jüngsten Positionspapiers von Justitia et Pax und der Einlassungen von Papst Franziskus ist aus meiner Sicht über-überfällig.
In den letzten 20 Jahren gab es neue internationale Entwicklungen, z. B. asymmetrische Kriege, Terroranschläge, Tötungen durch Drohnen, Killerroboter und Anstrengungen, autonome Waffen zu entwickeln. Wie sollte ein neues Friedenswort darauf reagieren?
Die Kriegsdrohnentechnologie und die herrschende (keineswegs nur US-amerikanische) Drohnenkriegspraxis halte ich für die aktuell gravierendsten friedensethischen und -politischen Herausforderungen. Aus meiner Sicht ist ihre ethische Problematik ähnlich grunderschütternd wie seinerzeit die Nuklearwaffen-Technologie und -Strategie. Nur dass seit der Epochenwende von 1989/90 alles „salamitaktischer“ oder hinterhältiger durchgezogen wird. „Gerechter Friede“ kennt noch keine Aufklärungs- und Überwachungsdrohnen, keine Kampfdrohnen und erst recht keine Killerroboter. Die kirchen-nahe Debatte ist ausgesprochen disparat. Bellum iustum-, Gerechter Friede- und Gewaltfreiheits-Perspektive treffen in der Debatte um Drohnen und automatische Waffen aufeinander wie wohl noch nie. Lediglich die Vollautonomisierung letaler ferngesteuerter Waffensysteme wird durchgehend abgelehnt. Ein neues Papier sollte klarstellen, dass es sich bei Kampfdrohneneinsätzen um illegale Hinrichtungen handelt, verbunden mit einer traumatisierenden Überwachung der Zivilbevölkerung in armen Ländern. Abrüstung und nichtmilitärische Konfliktlösungen sind Ziel von „Gerechter Friede“. Heute wird die Diskussion von Forderungen nach neuer Aufrüstung und „militärischer Verantwortung“ bestimmt. Wie sollen die Bischöfe darauf reagieren? Ich empfehle, die Abschlusserklärung der vom Päpstlichen Rat für Gerechtigkeit und Frieden und Pax Christi International im April 2016 im Vatikan unter dem Titel „Gewaltfreiheit und Gerechter Friede“ ausgerichteten Konferenz ernsthaft aufzugreifen. Im Übrigen sollte man sich an das halten, was man sich in „Gerechter Friede“ selbst eindrucksvoll zu bedenken gegeben hat: „Mitten in einer Welt voll Krieg und Gewalt kann die Kirche nicht als Sakrament des Friedens wirken, wenn sie sich anpasst. Diese Welt braucht keine Verdoppelung ihres Unfriedens durch eine Religion, die zu allem Ja und Amen sagt ...“ (Ziff. 164)
Was wäre ein angemessenes Konzept der Militärseelsorge in einem neuen Dokument?
Die etablierte Militärseelsorge sagt effektiv fast „zu allem Ja und Amen“, was die Militär- und Sicherheitspolitik betreibt. Unter den bestehenden Bedingungen der finanziellen Abhängigkeit und der organisatorischen Einbettung in die staatlichen Strukturen ist kaum etwas anderes zu erwarten. Würde man sich entsprechend dem Appell der genannten Vatikan-Konferenz wieder ernsthaft auf die „Gewaltfreiheit des Evangeliums einlassen“ (Recommit to Gospel Nonviolence), stünde ein Umbau zu einer staatsunabhängigen Friedensagentur an, die den sicher vielfach vorhandenen Idealismus und die Einsatzbereitschaft von Soldatinnen und Soldaten auf ein „Frieden schaffen ohne Waffen“ hinzuführen hätte, sich also einer „Verwandlung der Mächte und Gewalten“ (W. Wink) widmen sollte.
Was ist dein Wunsch an ein neues Bischofswort?
Speak truth to the powers that be – „gelegen oder ungelegen“!
Albert Fuchs, Prof. Dr., Jg. 1937, Hochschullehrer für Kognitions- und Sozialpsychologie i. R., ist Mitglied im Beirat von Wissenschaft & Frieden und u. a. bei pax christi (Kommission Friedenspolitik) engagiert. Die Fragen stellte Odilo Metzler, Mitglied der pax_zeit-Redaktion